Nationalspieler Jonathan Tah ist seit dem vergangenen Jahr Botschafter der DFB-Stiftung Egidius Braun. Im Interview spricht der 24-Jährige sehr persönlich über die Corona-Krise und über sein Engagement für Menschen in Not.
FUSSBALL.DE: Jonathan, während wir telefonieren, gibt es in Deutschland fast nur ein Thema: Corona. Wie erleben Sie als Fußballprofi die Lage?
Jonathan Tah: Es ist eine sehr ungewohnte Situation. Viele Menschen sind nachvollziehbarerweise etwas verängstigt und verunsichert. Das trifft auch auf mich zu. Alle stellen sich die gleichen Fragen: Wie geht das Thema weiter? Welchen Schaden richtet das Virus an? Wann ist es vorbei? Es gibt derzeit keine konkreten Anhaltspunkte und Antworten auf diese Unklarheiten. Ich glaube, dass diese Ungewissheit eine große Herausforderung für uns alle ist, zumindest ist das bei mir der Fall.
Wie hat sich Ihr Leben durch das Coronavirus verändert?
"Hinter Fußball steckt viel mehr als ein Sieg in einem Spiel"
Tah: Vor ein paar Tagen haben wir noch vor 50.000 Menschen bei den Glasgow Rangers gespielt. Seitdem ist alles anders. Und das in kürzester Zeit. Im Moment trainieren wir nicht mehr gemeinsam mit der Mannschaft, auch an Spiele ist derzeit nicht zu denken. Aktuell gehe ich kaum noch raus, höchstens um Einkäufe zu erledigen oder um meine Läufe zu machen. Das sind schon krasse Einschränkungen und ich empfinde es als ungewohnte Belastung, die ganze Zeit zu Hause zu sein. Aber das geht auch wieder vorbei.
Wie gehen Sie ganz persönlich damit um?
Tah: Ich versuche, die Situation als Chance zu sehen. Auch wenn das derzeit nicht so einfach ist. Aber jetzt ist die Gelegenheit, dass wir uns mal wieder auf die grundlegenden Dinge des Lebens besinnen können. Wir sollten dankbar dafür sein, was wir haben, und das Leben im Allgemeinen wieder mehr zu schätzen lernen. Wir haben nun genügend Zeit, uns darüber Gedanken zu machen. Auf diesem Weg können wir uns wieder für Dinge sensibilisieren, die wir sonst als selbstverständlich ansehen.
Sie sind Mitinitiator eines Nothilfefonds der DFB-Stiftung Sepp Herberger für Mitglieder der Fußball-Familie, die durch das Coronavirus in Not und wirtschaftliche Bedrängnis geraten sind. Warum ist Ihnen das wichtig?
Tah: Grundsätzlich ist jede Hilfe bedeutend. Auf den Fußball bezogen kann man es so sagen, dass wir einfach mal den Menschen danken und helfen sollten, die mit viel Herzblut im Hintergrund tätig sind und dafür sorgen, dass zum Beispiel ich Woche für Woche auf dem Platz stehen kann. Das ist nur dank ganz, ganz vieler helfender Hände möglich, die eigentlich nie im Scheinwerferlicht stehen. Und jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, für dieses unglaublich wichtige Engagement etwas zurückzuzahlen. Wir müssen zusammenhalten, gerade in schweren Phasen wie jetzt.
Hält die Gesellschaft in dieser Situation genug zusammen?
Tah: Es ist aus meiner Sicht Tag für Tag und Woche für Woche besser geworden. Am Anfang haben viele den Ernst der Lage noch nicht erkannt. Die extremen Auswirkungen sind vielen – mich inbegriffen – erst nach und nach bewusst geworden. Seitdem hält die Gesellschaft gut zusammen, das ist zumindest mein Eindruck. Es geht immer noch besser. Manchmal sehe ich noch zu viele Menschen zusammen im Park sitzen. Das sollte nicht mehr sein, das ist kontraproduktiv.
Welche Lehren können wir aus dieser weltweiten Katastrophe zum Zeitpunkt unseres Gesprächs ziehen?
Tah: Man darf sich nie mit irgendetwas zu sicher sein. Das Virus hat von heute auf morgen unser gesamtes Leben verändert. In dieser Form war das für uns alle unvorstellbar, aber es ist passiert. Wir sollten deswegen jetzt nicht grundsätzlich ängstlich durchs Leben gehen. Angst ist kein guter Weggefährte. Aber wir sollten wachsam sein – und vor allem dankbar.
Seit vergangenem Jahr sind Sie Botschafter der DFB-Stiftung Egidius Braun. Was bedeutet Ihnen diese Aufgabe?
Tah: Ich habe schon länger darüber nachgedacht, mich in dieser Richtung zu engagieren. Mit den Themen der Stiftung kann ich mich absolut identifizieren. Ich bin stolz auf diese Funktion.
Warum haben Sie sich dazu entschieden?
Tah: Ich möchte der Gesellschaft gerne etwas zurückgeben. Wir brauchen uns alle gegenseitig. Ich habe in meinem Leben bisher so viel bekommen, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, um auch etwas zu geben.
Wie haben Sie die beiden Jahre bisher erlebt?
Tah: In dieser Zeit ist viel passiert. Auch bei mir persönlich. Ich habe die Zeit in der Stiftung als sehr emotional erlebt, besonders am Anfang. Beim ersten Mal, als ich für die Stiftung unterwegs war, war ich direkt in einer Kinderkrebsstation im Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) in Heidelberg. Das war schon sehr bewegend, dort die Kinder und Jugendlichen zu erleben, die schwer krank sind. Für mich ist es eine Herzensangelegenheit, an diesen Stellen zu helfen. Mit einigen Kindern, die ich im KiTZ getroffen habe, stehe ich noch unregelmäßig in Kontakt.
Wann denn?
Tah: Wenn ich erfahre, dass bei einem Kind zum Beispiel wieder eine Chemotherapie ansteht, dann schreibe ich ihm und wünsche viel Glück. Ich hoffe, dass ich dadurch einen ganz kleinen Beitrag leisten kann, etwas Mut und Hoffnung zu machen. Oft ist es schwierig, die richtigen Worte zu finden.
Wie gehen Sie damit um, wenn der schlimmste Fall eintritt und eines der Kinder den Kampf gegen die Krankheit verliert?
Tah: Das ist schrecklich und macht mich extrem traurig. In diesen Momenten rücken die eigenen Probleme ganz weit in den Hintergrund und sind teilweise absolut unangebracht. Was ist im Gegensatz dazu schon eine Niederlage in einem Fußballspiel? Manchmal bin ich auch wegen Kleinigkeiten megasauer oder ärgere mich total über einen entscheidenden Fehler. Aber dann erreicht mich so eine schlimme Information aus dem Krankenhaus und holt mich direkt auf den Boden der Tatsachen zurück. Ich musste erst mal lernen, mit solchen Schicksalsschlägen umzugehen.
Fußballer haben oft den Ruf, in einer Scheinwelt zu leben. Wie ist das Feedback in Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis auf Ihre Tätigkeit für die Stiftung?
Tah: Mein Freundeskreis ist sehr eng, da lasse ich nur wenige langjährige Weggefährten rein. Es gibt nicht viele Leute, die ich an mich heranlasse. Und aus diesem Kreis lebt definitiv niemand in einer Scheinwelt. Das Feedback zu meinem Engagement ist daher sehr positiv. Im Fußballerkreis versuche ich die Themen auch hier und da mal zu platzieren. Mein Ziel ist es, den einen oder anderen weiteren Spieler zu motivieren, sich ebenfalls für den guten Zweck einzusetzen. Ich kenne viele Fußballer, die wirklich ein gutes Herz haben. Manchmal scheitert es bei denen, dass sie den Weg in ein soziales Engagement nicht finden. An dieser Stelle stehe ich gerne beratend zur Seite. Jeder, der sich einbringt, ist ein Gewinn.
Was bringt Ihnen persönlich dieses Engagement?
Tah: Das eine oder andere habe ich schon gesagt: Es holt mich komplett auf den Boden zurück. Man lernt Alltägliches wieder zu schätzen. Der wichtigste Punkt ist jedoch, dass es mich glücklich macht. Ich bin dankbar für das, was ich habe. Für das Leben, das ich lebe. Ich weiß, dass ich schon so viel bekommen habe. Aber ich habe festgestellt, dass geben glücklicher macht als zu nehmen. Das nehme ich aus meiner Tätigkeit für die Stiftung mit. Für mich ist das keine Pflicht, für mich ist das eine Herzensangelegenheit.
Hatten Sie schon Kontakt zu Egidius Braun?
Tah: Ich habe ihn im vergangenen Jahr im Rahmen des Fanfests der Nationalmannschaft in Aachen kennengelernt. Er ist eine beeindruckende Persönlichkeit.
Egidius Brauns wahrscheinlich prägendster Satz ist: Fußball – Mehr als ein 1:0. Wie sehen Sie als Profi das?
Tah: Ich stimme zu 100 Prozent zu. Hinter dem Fußball steckt viel mehr als ein Sieg in einem Spiel. Der Sport lebt von der Leidenschaft, den Emotionen, dem Spaß, dem Gemeinschaftsgefühl. Das sind alles Aspekte, die mehr bedeuten als ein 1:0. Viele Fußballer bringen sich gerade in dieser schwierigen Situation ein und verhalten sich solidarisch. Wir Fußballer sind auch nur Menschen wie jeder andere auch. Wir müssen jetzt und zukünftig zusammenhalten.
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