Der Vize-Präsident des Deutschen Bundestages und Vorsitzende der DFB-Ethikkommission äußert sich in einem Namensbeitrag für den kicker zur Situation des Fußballs in Deutschland in Zeiten der Corona-Krise, aber auch weit darüber hinaus.
Der deutsche Fußball steckt in seiner bisher vielleicht tiefsten Krise. Betroffen ist die DFL mit ihren Profiligen. Die Zuschauereinnahmen werden auf absehbare Zeit wegbrechen. Würden den Vereinen infolge eines Saisonabbruchs zusätzlich Millionenbeträge aus Fernsehverträgen fehlen, wäre dies für viele von ihnen existenzgefährdend. Insolvenz müssten aber nicht die Champions-League-Teilnehmer anmelden, sondern die Traditionsvereine, die vielleicht für immer von der Bildfläche verschwinden. Ganze Regionen identifizieren sich mit ihnen und ohne sie würde sich der Charakter des Profifußballs tiefgreifend verändern.
Doch die Krise trifft auch den Amateur- und Jugendbereich, durch die der Fußball in Deutschland seine Breitenwirkung und seine gesellschaftliche Bindungskraft entfaltet. Nicht zuletzt auch durch die vielen sozialen Projekte, die die Vereine ins Leben gerufen haben oder unterstützen. Hier drohen viele Strukturen unwiederbringlich verloren zu gehen.
Keine Sonderbehandlung des Profifußballs - auch nicht in negativer Hinsicht
In der Debatte um eine Fortsetzung der Saison und die Geisterspiele wird oft betont, dass dem Fußball in der Krise keine Sonderrolle zukommen dürfe. Das trifft zu, gilt aber in doppelter Hinsicht: Denn genauso wenig wie die DFL und ihre Vereine privilegiert werden dürfen, darf es in negativer Hinsicht zu einer Sonderbehandlung kommen. Die Vereine sind nicht zuletzt Wirtschaftsunternehmen. In Deutschland sind rund 56.000 Personen in und um den Fußball beschäftigt. In einer Zeit, in der wir darüber diskutieren, wann wir die einzelnen Wirtschaftsbereiche unter welchen Bedingungen wieder "hochfahren", wäre es unfair, dem Fußball diese Abwägung zu verwehren.
Dabei muss berücksichtigt werden, dass es im Falle der DFL um Hilfe zur Selbsthilfe geht. Eine staatliche Finanzierung von Spielergehältern durch den Staat kann und wird es nicht geben! Klar ist auch, dass das Gesundheits- und Arbeitsschutz sowie Sicherheitskonzept der DFL tragen müssen. Am Ende wird es auch auf die Bereitschaft der Spieler - und ihrer Familien - ankommen, außerhalb des Spielbetriebs auf weitere Kontakte zu verzichten.
In der sehr emotional geführten Debatte zeigt sich, wie sehr der Fußball polarisiert. Dahinter verbirgt sich ein Konflikt, der schon seit Jahren schwelt und immer wieder aufbricht. Viele verstehen die horrenden Ablösesummen und exzessiven Gehälter nicht mehr. Sie stört die Zerstückelung der TV-Rechte und sie sind empört über das Verhalten einzelner Profispieler, die ihrer Vorbildfunktion nicht nachkommen und deren Lebensrealitäten keine Verbindung mehr zu den Menschen in diesem Land haben. Nichts verdeutlicht dies besser als Bilder von "goldenen Steaks", die einzelne Spieler in sozialen Netzwerken teilen.
Das Nachgeben der DFL bei Montagsspielen war klug
Der Konflikt wurde abermals bei der Auseinandersetzung um die Montagsspiele sichtbar. Auf der einen Seite stand die DFL mit ihrem durchaus nachvollziehbaren Wunsch nach möglichst lukrativen Fernsehverträgen. Auf der anderen Seite standen die treuesten Fans, die Fahrten zu Auswärtsspielen plötzlich nicht mehr mit einer Berufstätigkeit vereinbaren konnten. Letztlich ging es um die Frage, für wen der Fußball da ist, was seine Werte sind und ob sich der moderne Profifußball mit diesen Werten noch vereinbaren lässt, wenn er vermeintlich nur auf Gewinnmaximierung aus ist. Es war klug, dass die DFL an dieser Stelle den Fanprotesten nachgab.
Auch kurz vor dem Abbruch der regulären Saison trat der Konflikt offen zutage, bei dem der langjährige Förderer der TSG Hoffenheim, Dietmar Hopp, buchstäblich ins Visier genommen wurde. Die Kritik an der Kommerzialisierung des Fußballs dürfen Fans selbstverständlich auch sehr zugespitzt äußern - das ist legitim. Die Grenze ist aber dann überschritten, wenn der Achtungsanspruch, die Würde eines Menschen oder einer Gruppe von Menschen verletzt und gezielten Angriffen ausgesetzt werden.
Trotz ihrer Probleme ist die Bundesliga eine ungebrochene Erfolgsgeschichte. Die Eintrittskartenverkäufe und die Abonnementenzahlen der Pay-TV Sender steigen seit Jahren. An einem regulären Wochenende verfolgen 20 Millionen Menschen in Deutschland die Spiele der 1. und 2. Bundesliga und fast 35% der über 14-Jährigen geben an, dass Fußball ihr Lieblingssport ist. Fußball ist damit immer noch der mit Abstand beliebteste Sport der deutschen Bevölkerung. Aber Fußball ist in Deutschland für viele Menschen in erster Linie Amateur- und Jugendsport. Aus dieser Quelle schöpft auch die DFL ihr enormes Potential. Deswegen würden dem Profifußball ein wenig mehr Demut und eine Rückbesinnung auf den Kern des eigenen Erfolgs gut zu Gesicht stehen.
Fußball vermittelt fundamentale Werte
Wie Fritz Keller einmal anmerkte, ist der "Fußball das letzte Lagerfeuer, um das sich die Menschen in unserer Gesellschaft versammeln können". Denn der Fußball verbindet Menschen aus allen Generationen, gesellschaftlichen Schichten und jeglicher Herkunft miteinander. Dabei vermittelt er fundamentale Werte: wie Respekt, Vielfalt, Toleranz und Fair Play. Er ist parteipolitisch und religiös neutral. Er bekennt sich zu den Menschenrechten und lehnt jede Form von Rassismus und Diskriminierung ab. Fußball ist offen für alle. In Wirklichkeit ist der Fußball eine der größten Integrationsmaschinen, die wir in Deutschland haben. Nicht nur bei der Integration von Einwanderern, sondern bei der Integration der gesamten Gesellschaft.
Wenn der Profifußball in Deutschland gestärkt aus der Krise hervorgehen will, muss er sich auf seine "Wurzeln" zurückbesinnen. Das beginnt bei den Spielern, die ihrer Vorbildfunktion gerecht werden müssen. Wo nötig, müssen die Vereine sie dabei unterstützen. Doch auch die DFL muss ihren Beitrag dazu leisten und die vielen kleinen Vereine und den Amateur- und Jugendfußball sicher durch die Krise begleiten. Das Fundament des Fußballs in Deutschland darf nicht wegbrechen.
Aber auch in den Profiligen machen die geringen Eigenkapitalrücklagen vieler Vereine die Probleme deutlich. Strengere wirtschaftliche Maßstäbe mit Vorgaben zur Risikovorsorge seitens der DFL halte ich daher für einen richtigen Ansatzpunkt. Vorteilhaft ist natürlich, dass die Profiklubs zur "50+1-Regel" stehen. Sie verhindert, dass Investoren die Vereine als reine Wirtschaftsunternehmen betrachten, die einzig dem Zweck der Gewinnmaximierung dienen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die nach wie vor hohe Akzeptanz des Fußballs und es wäre paradox, wenn die Ultras mit ihrem Protest gegen die Geisterspiele Erfolg hätten und in der Folge finanziell ausgeblutete Fußballvereine zur Beute der Finanzinvestoren würden.
"Salary Caps" dürfen kein Tabuthema sein
Allerdings scheint die "50+1-Regel" nicht auszureichen, da die Distanz zwischen Vereinen und Fans und auch die Distanz zwischen Fußball und Gesellschaft zugenommen haben. Der Fußball hat viel von seiner Vorbildfunktion verloren, die gilt es nun Schritt für Schritt zurückzugewinnen. Deshalb dürfen "Salary Caps", die Begrenzung von Ablösesummen und Beraterhonoraren keine Tabuthemen sein.
Angesichts dieser und zahlreicher weiterer Fragen begrüße ich die Ankündigung des Geschäftsführers der DFL, Christian Seifert, die Herausforderungen in einer Task-Force "Zukunft Profifußball" anzugehen. Fußball ist die schönste Nebensache der Welt. Wir müssen einiges dafür tun, damit das so bleibt.