An diesem Montag endet am Bundesstrafgericht im Schweizer Bellinzona der Prozess um die berüchtigte 6,7-Millionen-Euro-Zahlung, die "Sommermärchen-Affäre” rund um die Fußball-WM 2006 - wegen Verjährung. Ein weltweit beachtetes Verfahren, das einfach versandet. Wie konnte es so weit kommen?
Bei der Suche nach Antworten stößt man unweigerlich auf zwei Personen: den Chef der Schweizer Bundesanwaltschaft, Michael Lauber, und den Präsidenten des Fußball-Weltverbandes, Gianni Infantino. Die beiden mächtigen Männer, eigentlich Gegenpole bei der Aufklärung zahlreicher Verfahren rund um die gewaltige Korruption in der Fifa, sind sich offenbar zu nah gekommen.
Seit Anfang November 2015 hatte die Berner Bundesanwaltschaft die dubiosen Geldflüsse zwischen dem verstorbenen früheren Adidas-Boss Robert Louis-Dreyfus, der deutschen Fußball-Ikone Franz Beckenbauer, dem DFB, der Fifa und dem einstigen katarischen Spitzenfunktionär Mohamed Bin Hammam ermittelt. Doch der Prozess begann erst vor wenigen Wochen, am 9. März. Knapp vier Jahre hatten die Berner Strafverfolger gebraucht, um ihre Anklage gegen die früheren DFB-Präsidenten Theo Zwanziger und Wolfgang Niersbach, den früheren Generalsekretär Horst R. Schmidt sowie den früheren Fifa-Generalsekretär Urs Linsi fertig zu stellen.
Vor allem die Rolle Laubers wirft in dem Verfahren viele Fragen auf. Kurz vor Beginn des "Sommermärchen”-Prozesses veröffentlichte die Aufsichtsbehörde der Bundesanwaltschaft ein 48 Seiten umfassendes Dokument, das Laubers Amtsführung stark kritisiert. In ihrem Disziplinarbericht halten die Kontrolleure Lauber im Kern ein falsches Berufsverständnis vor. Er habe illoyal gehandelt und die Untersuchung seiner Behörde behindert.
Im Raum steht der Vorwurf der Befangenheit
Der Report ist von bemerkenswerter Schärfe. Er wirft dem obersten Schweizer Staatsanwalt vor, "mehrfach wissentlich und willentlich die Unwahrheit” gesagt zu haben. Lauber bestreitet die gegen ihn erhobenen "Behauptungen und Wertungen” vollumfänglich und bezeichnete einzelne Aussagen der Aufsicht als falsch und als "eine reine Unterstellung”.
Auch das Bundesstrafgericht Bellinzona fand bei der letzten Verhandlung im "Sommermärchen”-Prozess am 17. März deutliche Worte, ehe das Verfahren wegen der Corona-Pandemie vorläufig ausgesetzt wurde. Demnach seien "Umstände zu Tage” getreten, die "umfassende Beweisverwertungsverbote zur Folge haben könnten”. Im Raum steht der Vorwurf der Befangenheit Laubers. Mindestens einer der Angeklagten betrieb seit rund einem Jahr bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Laubers Absetzung in dem Verfahren. Eine Untreue-Ermittlung der Bundesanwaltschaft gegen den früheren Fifa-Generalsekretär Jérome Valcke und den früheren Finanzchef Markus Kattner ist bereits eingestellt worden, weil die Beschuldigten dem Behördenleiter Lauber Voreingenommenheit vorhalten konnten.
Es geht vor allem um drei geheime Treffen Laubers mit Fifa-Präsident Infantino in den Jahren 2016 und 2017. Keine dieser Zusammenkünfte hatte formalen Charakter, es gab weder Aktennotizen noch Gesprächsprotokolle, entgegen allen Standards und Vorschriften.
Das Verfängliche für Lauber ist, dass die Bundesanwaltschaft zum Zeitpunkt seiner Meetings mit Infantino neben dem "Sommermärchen”-Fall noch weitere Ermittlungen in Sachen Fifa geführt hat. Im "Sommermärchen”-Verfahren ist die Fifa keine Beschuldigte, aber eben auch Partei. Sie teilte der Bundesanwaltschaft Ende April 2016 schriftlich mit, als Privatklägerin auftreten zu wollen – also als Geschädigte. Mit Erfolg: Ein Jahr später, am 1. Mai 2017, gab Laubers Behörde diesem Vorstoß grünes Licht.
Der SPIEGEL und seine Partner des Recherchenetzwerkes European Investigative Collaborations (EIC) hatten bereits Anfang November 2018 über ein geheimes Treffen Infantinos mit Lauber berichtet. Diese Enthüllung basierte auf Mails zwischen Infantino und seinem Jugendfreund Rinaldo Arnold, die die Enthüllungsplattform Football Leaks dem SPIEGEL zugespielt hatte.
Infantinos Buddy Arnold war damals Oberstaatsanwalt im Schweizer Kanton Wallis, als hochrangiger Justizbeamter hatte er offenbar persönlichen Zugang zum Pressesprecher der Schweizer Bundesanwaltschaft – und konnte Infantino so die Türen zu Lauber öffnen.
Bei seinem ersten Treffen am 22. März 2016 im Hotel Schweizerhof in Bern wollte Infantino, als Fifa-Präsident gerade frisch ins Amt gewählt, offenbar mit dem Mann ins Gespräch kommen, der die Korruptionsermittlungen in Sachen Fifa leitete. Doch wenige Tage später wurde es unangenehm für Infantino: Es gab eine Razzia im Hauptquartier der Uefa. Wieder war die Bundesanwaltschaft angerückt. Diesmal waren die Ermittler einem TV-Deal mit südamerikanischen Rechtehändlern auf der Spur, der aus einer Zeit stammte, als Infantino noch in Nyon tätig war, als Direktor der Rechtsabteilung. Infantino hatte diesen Vertrag für die Uefa unterschrieben.
Das Verfahren der Bundesanwaltschaft richtete sich gegen Unbekannt, nicht gegen Infantino. Trotzdem war der neue Fifa-Boss um seinen Ruf besorgt. Wieder sprang sein Kumpel Arnold ihm zur Seite. Er verschaffte sich über seinen Intimus bei der Bundesanwaltschaft offenbar die Pressemitteilung und bot Infantino an, Einfluss auf den Wortlaut zu nehmen: "Hallo Gianni, wenn Du willst kann ich mal versuchen zu erreichen, ob die BA eine Medienmitteilung machen würde, die sagt, dass gegen Dich kein Verfahren am Laufen ist.”
Aus den Mails geht auch hervor, dass es "in den nächsten Tagen” eine erneute Zusammenkunft zwischen Bundesanwaltschaft und Fifa geben würde. Arnold schlug vor, Infantino zu begleiten. Auf Anfrage des SPIEGEL sprach er von einem "rein privaten Kontakt zu Herrn Infantino”.
Dieses zweite Geheimtreffen zwischen Lauber und Infantino fand am 22. April 2016 im Restaurant "Au Premier" am Zürcher Hauptbahnhof statt. Bundesanwalt Lauber hat bislang den Standpunkt vertreten, dass solche "informellen Treffen" bei großen und komplexen Verfahren notwendig und üblich seien. Nichts also, was in irgendeiner Form geheimhaltungsbedürftige Ermittlungsinterna berührt habe. Auch Infantino wehrt sich gegen den Vorwurf versuchter Einflussnahme.
Bundesanwaltschaft äußerte sich auf Anfrage des EIC nicht
Im Datenschatz der Football Leaks findet sich jetzt eine Mail, die genau diesen Verdacht erhärtet: Dass Infantino in dem Uefa-Verfahren sehr wohl auf die Bundesanwaltschaft einwirken wollte.
Infantino schrieb diese Mail am 12. April 2016, zehn Tage vor seinem zweiten Rendezvous mit Lauber, gerichtet war sie mal wieder an seinen Justizratgeber Rinaldo Arnold. "Ich werde versuchen, es der Bundesanwaltschaft zu erklären, da es ja auch in meinem Interesse ist, dass alles so schnell wie möglich geklärt wird, dass klar gesagt wird, dass ich damit nichts zu tun habe.”
Das klingt nicht gerade nach Neutralität, sondern nach unzulässiger Einmischung.
Die Bundesanwaltschaft äußerte sich auf eine Anfrage des EIC nicht, ob Infantino das für ihn potenziell bedrohliche Uefa-Verfahren bei dem Treffen im April 2016 angesprochen und wie Lauber womöglich reagiert hat. Auch die Fifa beantwortete Fragen zum Inhalt von Infantinos bislang unbekannter Mail nicht.
Der Weltverband betonte stattdessen, Infantino habe sich 2016 mit der Bundesanwaltschaft getroffen, "um seine Bereitschaft – und die der Fifa – zu zeigen, bei allen Ermittlungen im Zusammenhang mit den Geschehnissen bei der Fifa vor seinem Amtsantritt zu kooperieren”. Dies sei "auch heute immer noch so”. Weiter heißt es in der Antwort: "Jeder Versuch, den Ruf des Fifa-Präsidenten in beschämender Weise in Frage zu stellen, wird scheitern.”
Es bleibt dabei: Bei der Aufklärung ihrer Geheimtreffen mauern Bundesanwalt Lauber und Fifa-Boss Infantino weiter. Größter Verlierer dieser Vertuschungsmanöver, für alle Welt nun auch deutlich zu erkennen an der Verjährung der "Sommermärchen”-Affäre, ist die Unabhängigkeit der Schweizer Justiz.
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