Die kleine Ergebniskrise der Bayern ist vorbei. Nach der Partie in Frankfurt zeigten sich die Münchner deutlich verbessert und fuhren dementsprechend auch ausschließlich Siege ein. Die TSG aus Hoffenheim könnte dennoch ein äußerst unangenehmer Gegner für den Tabellenführer werden.
Vor dem 10. Spieltag sprachen wir mit Julian Ritter. Der Blogger beschäftigt sich intensiv mit den Hoffenheimern und gibt uns so interessante Einblicke in das Innenleben des Klubs.
Hallo Julian, stell dich unseren Lesern bitte kurz vor. Was machst du und wie bist du zur TSG gekommen?
Ich blogge seit fünf Jahren unter neureich-bimbeshausen.de unregelmäßig über die TSG Hoffenheim und habe dazu auch einen Twitteraccount angelegt. Zur TSG bin ich gekommen, weil mich mein Vater auf den Dorfsportplatz mitgenommen hat. Damals gab es hinter einer Ecke des Platzes noch eine Schaukel und eine Rutsche, der Platz liegt ja am Hang. Meine ersten Spiele dürfte ich hauptsächlich dort verbracht haben. Irgendwann wurde der Sportplatz dann zu einem kleinen Stadion umgebaut, die Bayern kamen zur Einweihung und ich glaube, René Lahr hat das eine Tor zum 1:4 geschossen. In den folgenden Jahren habe ich zugesehen, wie die TSG immer weiter aufgestiegen ist und war dann irgendwann Fan einer Bundesligamannschaft.
2008 startete Hoffenheim furios in die erste Bundesliga-Saison, brach aber in der Rückrunde ein und landete auf Platz 7. Diese Platzierung ist bis heute das beste Saisonergebnis. Wie beurteilst Du die vergangenen acht Jahre als Gesamtbild?
2008 wurde die Ballbesitzstatistik bei Fernsehübertragungen so gelesen, dass die Mannschaft mit mehr Ballbesitz besser war. Für diesen Zeitgeist war Rangnicks Fußball zu schnell, zu direkt, zu druckvoll und damit sehr erfolgreich. Man kann sich neutrale Spielberichte von damals durchlesen, um einzuordnen, wie neu der Spielstil war. Es entstand ein Flow, jeder spielte, wie er noch nie zuvor gespielt hatte, das konnte nicht ewig so weiter gehen. Trotz allem war die Rückrunde aber nicht so schlecht, wie sie im Nachhinein gerne gemacht wird, es gab in der Rückrunde z.B. nur fünf Niederlagen und so viele Punkte wie die TSG damals hat seitdem kein Siebtplatzierter mehr gehabt (Gladbach ist 15/16 mit derselben Punktzahl Vierter geworden). Die Jahre danach geben kein einheitliches Gesamtbild ab. Rangnick kam trotz großer Transferausgaben nicht mehr über das Mittelfeld der Tabelle hinaus. Im Glauben, dass es einen Trainer geben müsse, dem das gelänge, gab es von seinem Abgang bis zu Gisdols Amtsantritt fünf Trainer in etwas mehr als zwei Jahren. Unter Gisdol dann Platz 9 und 8 und nach zweieinhalb Jahren sowie einer Interimsphase unter Stevens dann Nagelsmann, der jetzt, wo keiner mehr als Mittelmaß erwartet, konstant die Ergebnisse einer Spitzenmannschaft einfährt.
Offenes Ende.
Rangnick ist sicher eine prägende Figur für die TSG gewesen. Wie viel seiner Arbeit steckt noch im Verein und was hat sich danach grundlegend verändert?
Es ist schwer zu trennen, was im Einzelnen Rangnicks Einfluss war und wo Bernhard Peters, der heute beim HSV ist, in der entscheidenen Phase 2006-2009 federführend war. Ein paar Punkte der gemeinsamen Arbeit: Dass die TSG ein Vorreiter darin war, die Spielweise von den Jugendmannschaften bis zu den Profis ähnlich zu halten und Trainer zu verpflichten, die sich dieser Leitlinie unterordnen. Dass die Nachwuchsmannschaften auch dazu dienen, Trainer für die Bundesligamannschaft auszubilden, wie es bei Gisdol der Fall war und wie es jetzt bei Nagelsmann der Fall ist. Dass sich keine der TSG-Mannschaften vor dem eigenen Tor verbarrikadiert, sondern Fußball spielen will, gerne schnell und druckvoll. Eine grundlegende Veränderung in der Nach-Rangnick-Phase bis zum Amtsantritt von Alexander Rosen war, dass Verantwortliche bereit waren, vieles davon bei kurzfristigen Misserfolgen zu übergehen. Das hat die TSG auch einige Nachwuchsspieler gekostet (z.B. Pascal Groß, Jonas Hofmann, Davie Selke). Auch Niklas Süle war wohl schon auf dem Sprung, wenn Markus Gisdol nicht klar gemacht hätte, dass endlich wieder auf den eigenen Nachwuchs gesetzt wird.
Wie gehst Du mit den kritischen Stimmen gegen Hoffenheim um, die es immer wieder gibt?
Kritik, die inhaltlich deutlich über »Trotz RB bleibt deine Mutter eine H***« [Red.: Geändert] hinaus geht, lese ich selten, aber gerne.
Wofür steht der Verein und welche Philosophie wird verfolgt?
In der aktuellen Marketinglage der Bundesliga steht die TSG vielleicht dafür, ein bisschen runterzukommen. Nicht mit Begriffen wie »Philosophie« um sich zu werfen. Nicht den Anspruch zu haben, als Fußballunternehmen echte Liebe zu definieren oder der Mittelpunkt im Leben junger Asiaten zu sein, eine Ersatzreligion zu bieten oder Teil eines Lifestyles zu werden. »Ein Team. Ein Weg. Einmalig« hat sich die TSG auf die Fahnen geschrieben. Ein Fußballverein vom Dorf, der Nachwuchsförderung auf allerhöchstem Niveau betreibt und dessen Herrenmannschaft zu den besten Fußballmannschaften des Landes zählt. Fertig.
Julian Nagelsmann ist der jüngste Bundesliga-Trainer der Geschichte, aber auch jetzt schon einer der begehrtesten. Für welche Art Fußball steht er und was macht ihn so besonders?
Seinen Fußball kann er selbst viel besser erklären als ich. Er tut es auch gerne, wenn man ihn danach fragt – in der FAZ vor ein paar Wochenhat er viele Fragen beantwortet. Besonders macht ihn offenkundig, dass er nach einer frühen Umstellung vom Spieler zum Trainer schon mit 29 in der Lage ist, eine Bundesligamannschaft erfolgreich zu führen, taktisch wie menschlich. Da kann ich gerne auf ein paar Passagen aus einem Interview mit Matthias Kaltenbach (seinem heutigen Co-Trainer bei den Profis und damaligen Co-Trainer bei der U19) verweisen, das bei mir im Blog nachzulesen ist.
Welche kurzfristigen Ziele kann man anvisieren und wo soll es für die TSG mittel- und langfristig hingehen?
Kurzfristig geht es für Hoffenheim darum, das nächste Spiel zu gewinnen. Dazu kommen wir gleich. Mittelfristig wäre es schön, in der Bundesliga zu bleiben und, wenn es sich ergibt, auch mal international zu spielen. Langfristig muss man sehen, wie hoch man mit eigenen Nachwuchsspielern, gutem Scouting und den erwirtschafteten Transfergewinnen spielen kann, wenn sich der Verein ohne Zuschüsse von Familie Hopp tragen soll.
In welcher Ausrichtung und mit welcher Herangehensweise erwartest Du die Nagelsmann-Elf in München?
Da sehe ich viele Möglichkeiten. Das naheliegendste wäre das erfolgreiche System der letzten Wochen auf Basis eines 5-3-2. Aber es gibt viele Möglichkeiten für Überraschungen. In Mainz beispielsweise hat die Mannschaft zwischen eigenem und gegnerischem Ballbesitz nicht nur ein wenig verschoben, sondern deutlich umgestellt und hatte im Grund zwei sehr unterschiedliche, im Minutentakt wechselnde Formationen. Es ist also vieles möglich. Ein völlig passives 6-3-1, wie es so mancher Klub in den letzten Jahren in München aufgeführt hat, ist aber nicht zu erwarten. Nagelsmann wird die Schwächen der Bayern, die sich nach Peps Abgang aufgetan haben, beobachtet haben und die Spielweise darauf anpassen.
Wie geht das Spiel aus?
Wenn ich sehe, wie kurze Druckphasen Eindhoven oder Augsburg gereicht haben, um zu treffen, kann ich mir vorstellen, dass die TSG das auch schafft. Das Ziel wird es sein, so aufzutreten, dass man mehr Tore als der FC Bayern schießen kann, aber das schafft man selten. Andererseits: Nagelsmanns Bilanz mit der U19 waren ein 6:0- und ein 5:0-Auswärtssieg bei den Bayern.
Wenn Du dir einen Bayern-Spieler für die TSG aussuchen dürftest, wer wäre es und warum?
Joshua Kimmich. Der ist noch nicht so alt wie viele andere Bayern-Spieler, an denen man nach dem Aussuchen nicht mehr so lange seine Freude hätte. Kimmich, mit seiner VfB-RBL-Ausbildung, seinem Spielverständnis, seiner Präsenz im Pressing, könnte ein akzeptabler Rudy-Ersatz sein, falls der seinen Vertrag nicht verlängert.
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