segunda-feira, 30 de dezembro de 2019

Koray Günter im Interview: "Wenn da noch jemand ist, der Interesse an mir hat..."


Koray Günter (25) wurde beim BVB als "neuer Mario Götze" gehandelt, spielte unter Jürgen Klopp aber nur zwei Minuten und landete über Istanbul und Genua in Verona. Im Interview spricht der Innenverteidiger über Erfahrungen und schwierige Ansagen bei Galatasaray.

Herr Günter, was heißt "Durchbruch" auf Italienisch?
Boah! (lacht) Das hat mir noch niemand beigebracht.
Also ich hab's gegooglet. Beschreibt "scoperta" Ihre Saison in der Serie A?
Auf jeden Fall. Es ist meine erste Saison als Profi, in der ich so richtig Fuß fassen konnte, regelmäßig spiele und an meine Leistungsgrenzen kommen kann. Ich würde es als Mischung aus Durchbruch und Neuanfang bezeichnen.
Wir gehen nochmal ein paar Jahre zurück. Sind Sie eigentlich sauer auf Jürgen Klopp?
Überhaupt nicht, ganz im Gegenteil.
Manchen Jungs ist das alles über den Kopf gewachsen, sie sind ein bisschen in "hochnäsigere Regionen" gerutscht und haben sich möglicherweise für etwas Besseres gehalten.
GÜNTER ÜBER SEINE EHEMALIGEN WEGGEFÄHRTEN BEI DER U 17
Der heutige Welttrainer war 2012, als Sie mit 17, 18 Jahren auf dem Sprung zu den Profis waren, BVB-Coach. Für Sie hat es in den nächsten anderthalb Jahren nur zu einem Zwei-Minuten-Einsatz in der Bundesliga gereicht.
Ich bin ihm unendlich dankbar, dass er mich damals regelmäßig dazugeholt und dieses Potenzial in mir gesehen hat. Es waren für mich unglaublich wertvolle Jahre, die ich beim BVB verbringen durfte. Auch wenn sie sportlich gesehen, aufgrund eigentlich gar keiner Einsatzzeiten, nicht so spektakulär waren. Unter Klopp, auf diesem Niveau: Das alles mitzuerleben, aufzusaugen, war mehr wert als alles andere. Ich hätte mir natürlich gewünscht, das eine oder andere Spiel zu machen, aber da bin ich ihm überhaupt nicht böse.
Mit der deutschen U 17 sind Sie 2011 bei der WM in Mexiko Dritter geworden, in Dortmund war damals gleich von einem "Talent wie Mario Götze" die Rede. Was macht das mit einem Teenager ohne Profi-Erfahrung?
Es hat ein bisschen was mit Vorbereitung zu tun, wir wurden in Dortmund schon im frühen Alter von Psychologen betreut. Natürlich hat sich was geändert, als wir aus Mexiko zurückgekehrt sind. Auf einmal war man jemand, obwohl man nicht wirklich was gerissen hat. Eine erfolgreiche U-17-WM, schön und gut, aber na ja.
Ich weiß nicht, woran es gelegen hat, aber mich hat das Erzählte und Geschriebene in dem Alter eigentlich gar nicht interessiert. Das war schön, das war toll, das war gut, aber es war nicht wirklich hilfreich. Mit so einem Hype kommt eine gewisse Erwartungshaltung, aber da hat mir der Verein sehr geholfen.
Es gibt sicherlich auch andere Beispiele...
Ich habe Personen gesehen, deren Karrieren dann in die andere Richtung gingen. Manchen Jungs ist das alles über den Kopf gewachsen, sie sind ein bisschen in "hochnäsigere Regionen" gerutscht und haben sich möglicherweise für etwas Besseres gehalten. Ich will den Jungs keinen Vorwurf machen; damit umzugehen, ist auch heutzutage echt nicht einfach.
Sie sind als 13-Jähriger nach Dortmund gekommen, nach fünfeinhalb Jahren im Verein für 2,5 Millionen Euro zu Galatasaray gewechselt. Hat unter Klopp die Perspektive gefehlt?
Ich war fester Bestandteil des Kaders und relativ regelmäßig auch bei europäischen Spielen auf der Bank, aber, wie gesagt, eigentlich ohne Einsatzzeit. Es gab nicht wirklich die Aussicht, dass ich mich gegen die Konkurrenz durchsetzen könnte. Mats Hummels, Neven Subotic, Sokratis - das waren zu diesem Zeitpunkt drei Weltklasse-Verteidiger. Ich habe mich irgendwann bereit gefühlt, wollte und konnte mich nicht mehr bremsen. Als junger Spieler will man einfach spielen und allen beweisen, dass man auf höchstem Niveau mithalten kann.
Ich wollte möglichst schnell weg, aber der Verein hat dem einen Riegel vorgeschoben.
GÜNTER ÜBER DIE SCHWIERIGEN LETZTEN JAHRE BEI GALATASARAY
Das "höchste Niveau" war Galatasaray nicht unbedingt.
Ich war eigentlich immer dagegen, in dem Alter in die Türkei zu wechseln, das war für mich ein No-Go. Die Liga war nicht wirklich als Top-Ziel für junge Spieler bekannt.
Aber?
Der Trainer, Roberto Mancini, hat mich wirklich beeinflusst. Wenn der bei dir zuhause anruft, dir seine Pläne erzählt und deine Stärken aufzeigt... Das macht schon was aus. Das konnte ich mir dann vorstellen, und wir haben uns relativ schnell geeinigt. Ich war froh, unter einem weiteren großen Trainer diesmal als wichtiger Baustein eingeplant zu werden.
Wie es dann so ist manchmal, wurde Mancini nach sechs Monaten entlassen, alle Pläne über Bord geworfen und ich war immer noch an den Verein gebunden.
Parallel ist Emre Can, der Kapitän der U-17-Mannschaft von 2011, von Leverkusen nach Liverpool gegangen. Wird man da vielleicht auch neidisch?
Der eine wird neidisch, der andere vielleicht traurig, weil es bei ihm auch so hätte laufen können. Als ich das mitbekommen habe, war ich eher stolz, ich habe mich echt gefreut. Bei Emre war mir eh klar, dass er es schafft.
In vier Jahren in Istanbul standen - auch wegen eines Kreuzbandrisses - nur 50 Einsätze zu Buche, dafür aber auch zwei Meistertitel und drei Pokalsiege. Hat sich der Schritt gelohnt?
Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Ohne den Kreuzbandriss hätte es natürlich ganz anders aussehen können. Ich habe vor meiner Verletzung immer gespielt, der Trainer meinte, dass er mich auch nach meiner Genesung fest einplant. Dann wurde er gefeuert, ein neuer kam, ich war mal da und mal verletzt, der Verein hat neue Innenverteidiger verpflichtet... Der Trainer hatte sich dann von mir abgewandt und ich noch zwei Jahre Vertrag.
Aber der Verein hat Sie nicht gehen lassen?
Ich wusste ganz genau, dass die Perspektive nicht mehr bestand, es war einfach verlorene Zeit. Natürlich ist das eine Situation, in der man schnell in Panik ausbrechen kann. Fußball ist schnelllebig und dein Wert kann schnell sinken. Du suchst einen Ausweg, aber der muss halt auch passen. Das ist schwierig, wenn man in so einer "schwachen" Position ist. Ich wollte möglichst schnell weg, aber der Verein hat dem einen Riegel vorgeschoben. Es war ja legitim von Galatasaray, mich nicht gehen zu lassen, ich war ein guter Backup - auch wenn ich das nicht sein wollte. Aber ich hatte einen Vertrag und den musste ich dann auch erfüllen.
Das Gute ist, dass ich in so jungen Jahren eigentlich schon alle möglichen Rückschläge weggesteckt habe. Ich weiß jetzt, wie man mit Misserfolgen umgeht, mit Problemen, mit Druck. Ich bin heute viel gelassener. Es gibt nicht wirklich etwas, das mich aus der Bahn werfen könnte. Im Großen und Ganzen war Istanbul daher eine Riesenerfahrung - vielleicht nicht sportlich, aber ganz sicher mental.
Dortmund hat damals eine Rückkaufoption für sieben Millionen Euro besessen. Ab wann war Ihnen klar, dass es wohl nicht zurück zum BVB geht?
Nach dem Kreuzbandriss war der Zug eigentlich abgefahren. Mir wurde ja nicht mal bei Galatasaray noch eine Perspektive aufgezeigt. Für mich ging es dann nur darum, wieder gesund zu werden und dranzubleiben.
Der Vertrag ist im Juni 2018 "endlich" ausgelaufen. Wie kam es zum Schritt nach Genua?
Ich wollte unbedingt zurück in eine Top-Liga, wenn möglich. Wenn da denn noch jemand ist, der Interesse an mir hat, trotz meiner wenigen Praxiserfahrung in den letzten Jahren. Es gab zum Glück noch den einen oder anderen, der an mich geglaubt hat. Das Vertrauen wollte ich zurückzuzahlen.
Auch in Genua lief es zunächst durwachsen (zehn Startelf-Einsätze), im Sommer folgte die Leihe nach Verona. Bei Hellas sind Sie nun unangefochtener Stammspieler. Was hat sich verändert?
Ich habe nochmal mehrere Schritte nach vorne gemacht, die Sprache gelernt, einen anderen Spielstil. Der Wechsel nach Italien hat meinem Spiel sehr gutgetan. Ich bin viel ruhiger geworden, viel erwachsener und taktisch versierter. Hier spielt man extrem ergebnisorientiert, das verinnerlicht man schnell.
Nach dem letzten Aufstieg in die Serie A musste Hellas 2018 direkt wieder runter, stieg dann wieder auf. Was stimmt Sie zuversichtlich, dass sich der Verein jetzt im Oberhaus etablieren kann?
Wir sind Jungs, die irgendwo unbeschriebene Blätter sind, Bock haben und hungrig sind. Wir wollen es jedem jede Woche aufs Neue beweisen, weil keiner in dieser Liga mit uns gerechnet hat. Bis jetzt hat es echt gut geklappt, hier im Verein herrscht eine unglaubliche Ruhe. Deswegen werden wir das schaffen.
Ihre Gegenspieler heißen Edin Dzeko, Cristiano Ronaldo oder Romelu Lukaku. Wer hat Sie am meisten überrascht?
Da kennt ja jeder die Highlight-Videos. (lacht) Überraschend sind eher die "No-Names", die außerhalb von Italien die Wenigsten kennen. Zum Beispiel bei Inter, Marcelo Brozovic: ein absoluter Ball-Magnet, der ohne Fehler gespielt hat. Da habe ich mich nach dem Spiel gefragt: 'Wie kommt das, dass ich von dem noch nie was gehört habe?'
Hellas-Anhänger haben zuletzt negative Schlagzeilen geschrieben und Mario Balotelli beim Spiel gegen Brescia rassistisch beleidigt. Der hat daraufhin wütend den Ball in Richtung Tribüne geschossen und zunächst nicht weiterspielen wollen. Können Sie seine Reaktion verstehen?
Natürlich. Rassismus hat im Fußball nichts zu suchen. Man kann die betroffenen Jungs nur in jeder Form unterstützen.
Einer der führenden Fan-Vertreter von Hellas bekam ein elfjähriges Stadionverbot verhängt. Ist die Strafe noch zu harmlos?
Ich würde den lebenslang sperren lassen.
Im Endeffekt muss man diese Leute so hart sanktionieren, wie es nur geht und sie aus dem Sport rausdrängen.
GÜNTER ÜBER RASSISMUS-VORFÄLLE IN ITALIEN
Was muss getan werden, um die wiederkehrenden Rassismus-Vorfälle in Italien zu unterbinden?
Wenn man eine Person sperrt, ist das Problem leider noch nicht gelöst. Im Endeffekt muss man diese Leute so hart sanktionieren, wie es nur geht, und sie aus dem Sport rausdrängen.
Sie sind derzeit mit einer Kaufoption ausgeliehen. Wo geht es im Sommer weiter?
Es gab ein paar kürzere Gespräche, aber ich mache mir da noch keine Gedanken. Ich habe hier in Verona eine Aufgabe, und die möchte ich so gut es geht erfüllen. Im Sommer kann alles passieren.
Wie wäre es im zweiten Anlauf mit der Bundesliga?
Warum nicht? Es ist immer noch mein Traum, in der Bundesliga zu spielen, da brauche ich auch gar keinen Hehl draus machen. Ich habe da noch einiges zu beweisen, sozusagen ein offenes Kapitel.
Niklas Süle ist länger verletzt, Thilo Kehrer und Antonio Rüdiger kämpfen sich nach langen Ausfällen gerade zurück, Mats Hummels und Jerome Boateng werden vorerst nicht mehr berücksichtigt. Wäre Koray Günter jetzt schon ein Kandidat für Joachim Löw?
Momentan kann ich mir das nicht vorstellen, da muss ich ehrlich sein. Zu dem Kreis der Nationalmannschaft gehöre ich schon seit langer Zeit nicht mehr. Wenn eines Tages doch der Anruf kommen sollte, freue ich mich umso mehr.
Ist die türkische Nationalmannschaft ein Thema?
Anfragen gab es ein paar, aber da bin ich mir nicht sicher. Das Problem ist, dass ich dafür meinen deutschen Pass aufgeben und die türkische Staatsbürgerschaft annehmen müsste, das möchte ich nicht. Beides geht nicht mehr, den Zeitpunkt habe ich leider verpasst.
Interview: Mario Krischel

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