Der LIGAstheniker beschäftigt sich nach dem 20. Bundesliga-Spieltag mit dem "Fall Pléa" und stellt fest: Der Fußball in Deutschland hat ein Benimmproblem. Der Gladbacher Sünder Alassane Pléa spielte nach einem Zweikampf mit Marcel Sabitzer einfach nicht weiter, obwohl der Schiedsrichterpfiff ausblieb. Für seine anschließende Schimpftirade sah er für unseren Blogger "völlig zurecht" Gelb-Rot.
Ein Kommentar von Thilo Komma-Pöllath
Liebe Fußballfreunde,
an diesem Wochenende muss in der Liga eine Ungerechtigkeit biblischen Ausmaßes stattgefunden haben. Denn obwohl der "Titel-Krimi", wie einer der Bundesligasender seine Berichterstattung nannte, so spannend ist wie selten und die Bayern erstmals wieder an die Tabellenspitze zurückgekehrt sind, war das gar nicht das Thema - sondern der Gladbacher Sünder Alassane Pléa, der keiner sein sollte.
Nicht, dass er die herausragende Persönlichkeit des Spieltags gewesen wäre, darum ging es nicht, aber, dass an ihm offenbar ein Exempel statuiert wurde, ein Exempel für eine neue Ligaregel, die nach fast sechzig Jahren Bundesliga endlich so etwas wie Kinderstube durchsetzen sollte, das ging nun gar nicht. "Fingerspitzengefühl" war das meist missbrauchte Experten-Wort, gemeint war das nicht vorhandene Fingerspitzengefühl von Schiedsrichter Tobias Stieler, das dem Spitzenspiel RB Leipzig gegen Borussia Mönchengladbach seine Emotionen geraubt habe.
Jeder sprach plötzlich von den "Emotionen des Spiels", als seien die Emotionen des Fußballs eine besonders schützenswerte Erscheinung unter dem Dach des Weltkulturerbes. Einer sprach noch von der "Parkwächtermentalität", die im Ernst niemand wollen kann. Ganz im Ernst: Ich will die Parkwächtermentalität in der Liga, wenn sich Berufsfußballspieler auf dem Feld benehmen wie Hater in sozialen Netzwerken.
Pléa und die Ligagefühle
Warum plötzlich jeder Mitleid bekam mit dem Franzosen Pléa ist auch nach stundenlanger Dauerschleife jener 61. Minute zwischen Leipzig und Gladbach kaum auszumachen. Es gibt einen Zweikampf zwischen Marcel Sabitzer und Alassane Pléa, ein Foulspiel ist auch nach mehrmaligem Ansehen kaum erkennbar, der Pfiff bleibt aus, das Spiel läuft weiter. Nur Pléa spielt nicht weiter. Er reklamiert, er hebt die Arme, er kriegt sich gar nicht mehr ein. Er will einen Freistoß. Stieler unterbricht das Spiel und gibt ihm eine Gelbe Karte.
Jetzt erst kommt Pléa richtig in Fahrt und beschimpft den Schiedsrichter, von "fils de pute" ist die Rede. Ich erspare Ihnen eine wörtliche Übersetzung. Stieler gibt ihm Gelb-Rot und schickt ihn vom Platz. Soweit völlig normal, sollte man denken, doch seitdem bebt die Liga. Die meisten Kommentatoren - von Raphael Honigstein bis Lothar Matthäus - sind sich plötzlich einig darüber, dass der "Fall Pléa" die Liga in seinem Wesen verändern werde - zu seinem Nachteil. Das ist dann tatsächlich bemerkenswert.
Die neue DFB-Weisung
Nachvollziehbar hätte man reklamieren können, warum der eherne juristische Grundsatz, dass man nicht zweimal für dasselbe Vergehen verurteilt werden könne, hier keine Anwendung fand. In dem Fall hätte Stieler Pléas platzunwürdiges Verhalten als eine Tat bewerten müssen. Doch dieser Einwand kam nicht. Stattdessen also das Gesülze von Fingerspitzengefühl, Parkwächtermentalität und den großartigen Emotionen des Fußballs, die durch Stieler und die neue Schiedsrichter-Weisung des DFB, die seit der Rückrunde gilt, kaputt gemacht werden. Unter dem Slogan #WirstellenGewaltinsAbseits will der Verband den zunehmenden Respektlosigkeiten gegen Unparteiische auf dem Spielfeld begegnen - in der Bundes- wie in den Amateurligen. Wer weiß, wie es auf Deutschlands Amateurplätzen zugeht, der fragt sich ohnehin, warum sie nicht schon vor zehn Jahren kam.
Der Fußball hat ein Benimmproblem
Wer gestenreich reklamiert, siehe Pléa, oder wer nach einer Gelben weiter protestiert, siehe Pléa, "fliegt gnadenlos vom Platz", so deutlich ist es bei der Interessensgemeinschaft der Schiedsrichter zu lesen. In Gänze soll die neue Weisung nur das umsetzen, was in anderen Sportarten (in der Gesellschaft ehedem) schon sehr lange Konsens ist: ein am Boden liegender Spieler wird verbal nicht attackiert, oder haben Sie das beim Handball schon mal gesehen? Der Ball wird nicht weggeworfen, oder haben Sie das beim Frauenfußball mal gesehen? Ein Spieler simuliert kein Foul und keine Verletzung, oder haben sie das beim Eishockey schon einmal gesehen? Eine Rudelbildung beim Rugby? Nie gesehen! Sind das also die großartigen Emotionen, die sich der Fußball nicht nehmen lassen will?
Eberls Scheinheiligkeit
Die Scheinheiligkeit der Diskussion ist deshalb schwer erträglich, weil alle so tun, als würden sie die neue Weisung gut und richtig finden. Aber immer dann, wenn es den eigenen Klub betrifft, dann ist das etwas völlig anderes. Ein gutes Beispiel dafür ist Gladbachs Manager Max Eberl. Eberls Verständnis von Kinderstube geht ungefähr so: Ja, das stimme schon, wir hatten in der Vergangenheit viele Emotionen, vielleicht auch zu viele überzogene Emotionen, aber das mit Pléa, das gehe gar nicht. Eberl mokiert, dass gerade die erste gelbe Karte keine gewesen sei.
Er werde, wenn er seine Emotionen (sic!) wieder im Griff habe, in dieser Woche Schiedsrichter Stieler noch einmal anrufen und mit ihm darüber sprechen. Das ist schon deshalb interessant, weil er damit zu verstehen gibt, dass er die einmal getroffene Tatsachenentscheidung eines Unparteiischen, die nicht mehr umkehrbar ist, gar nicht akzeptieren will. Mit Pléa, der von Eberl bezahlt wird, der immer noch nicht weiß, wie man sich auf einem Fußballplatz zu benehmen hat, der einfach aufhört zu spielen, obwohl das Spiel weiterläuft, mit dem will Eberl offenbar nicht sprechen. Was sagt uns das?
Fußball wie Facebook
Zumindest stellt man so keine Gewalt ins Abseits, man nährt sie. Der Fußball in der Bundesliga ist wie Facebook. Natürlich wollen wir alle keinen Hatespeech, aber am nächsten Samstag pöbeln wir einfach weiter drauf los, so als wäre nichts gewesen.
Zur Person Thilo Komma-Pöllath:
Der Sportjournalist und Buchautor ("Die Akte Hoeneß") beleuchtet in seinem wöchentlichen Blog "Der LIGAstheniker" das Geschehen in der Fußball-Bundesliga für Eurosport.de. Oft skeptisch, ironisch, kritisch - aber einer muss schließlich den Ball flach halten.
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