Zunächst müssen nach derart dramatischen 95 Minuten die Emotionen ausgelebt werden. Und so war Thomas Müller, sonst der Gute-Laune-Bayer beim deutschen Rekordmeister, der Spieler, den dieses Aus im Halbfinale der Champions League nach einem spektakulären 2:2-Unentschieden bei Real Madrid sichtlich extrem runterzog. Der Kapitän dieser mitreißend spielenden und aufopferungsvoll kämpfenden Münchner Mannschaft wies auf die krassen individuellen Fehler hin, die erneut die Zulassung zum Finale verhindert hatten.
Im vergangenen Jahr waren es gegen den selben Gegner aus Spaniens Hauptstadt die Platzverweise für Javi Martinez und Arturo Vidal gewesen, dazu Vidals verschossener Elfmeter im Hinspiel (1:2, dann 2:4 nach Verlängerung im Bernabeu-Stadion). 2016 hatte Müller selbst im Rückspiel gegen Atletico Madrid vom Punkt aus nicht verwandelt (0:1 im Hinspiel; 2:1 in München). Und dieses Mal leiteten Rafinha in München mit einem fatalen Querpass sowie nun Corentin Tolisso und vor allem Torwart Sven Ulreich mit einer krassen Co-Produktion den Knockout ein, der 1:2-Heimniederlage folgte nun dieses 2:2.
Eine Frage von Glück und Pech?
Wieder gehen die Bayern raus mit Applaus. Trösten können sie die vielen anerkennenden und aufmunternden Worte nicht, die Münchner wollen Siege, Erfolge und Trophäen. Sie wollen vor allem diesen Henkelpott der Champions League.
2013 haben sie ihn zum letzten Mal in ihre Vitrine gestellt, nach einem 2:1-Sieg gegen Borussia Dortmund. Seither sind sie nun zum vierten Mal in fünf Jahren im Halbfinale von spanischen Klubs aus dieser Konkurrenz vertrieben worden, in den ersten beiden Jahren unter Pep Guardiola ziemlich deutlich, 0:1 und 0:4 von Real 2014 sowie 2015 von Barcelona 2015 mit 0:3 und 3:2.
Ist diese Bilanz des statistisch immer knapper werdenden Ausscheidens Zufall? Eine Frage von Millimetern, Hunderstelsekunden - also Glück und Pech? Oder doch eine Tendenz, wenn die Königlichen aus Madrid zudem diesen Cup in den vergangenen vier Jahren dreimal gewonnen haben und nun den Hattrick schaffen können?
Lewandowski und Müller haben zu wenige Treffer beigetragen
kicker-Chefreporter Karlheinz Wild
© kicker
Immer Glück ist Qualität, hat Hermann Gerland, der ewige Cotrainer des FC Bayern, einmal gesagt. Im Umkehrschluss bedeutet dieser kluge Spruch: Immer oder des Öfteren Pech bedeutet in gewisser Weise ein Defizit an Klasse, bei den Abwehrfehlern wie der mangelnden Chancenverwertung. Gewiss, auch Cristiano Ronaldo vergab die XXL-Gelegenheit zum entscheidenden 3:1 an diesem 1. Mai 2018, doch der Real-Torjäger hat schon 15 Treffer im laufenden Wettbewerb erzielt und entscheidend dazu beigetragen, dass das Real Madrid der 2010er Jahre diese internationale Ära prägt. Robert Lewandowski, der nach München wechselte, um ebenda diesen Titel zu holen, hat dafür als Stürmer der Extraklasse, der er in der Bundesliga seit Jahren ist, bislang zu wenige Treffer beigetragen in den K.-o.-Spielen. Aber auch Müller hat in den zwei diesjährigen Halbfinals keinen Lauf gehabt und in dieser kontinentalen Runde 2017/18 insgesamt lediglich drei Treffer vorzuweisen.
Mit Heynckes zurück in die Erfolgsspur - aber die Bilanz reicht nicht
Dennoch haben die Bayern nach diesem missratenen Start und der 0:3-Klatsche im Gruppenspiel in Paris eine beachtliche internationale Spielzeit absolviert. Der 2013er Triple-Trainer Jupp Heynckes dirigierte diese zuvor zerfledderte Mannschaft zurück in die Erfolgsspur. Wo Klubs mit ausufernden Millionen-Investitionen wie Paris Saint Germain oder Manchester City längst aus der Wertung gefallen sind, haben es die Münchner mit ihrer vernünftigen Strategie bis in die Vorschlussrunde geschafft.
Aber diese Bilanz reicht ihnen nicht. Sie wollen grundsätzlich mehr. Und deshalb werden sie sich - wenn die großen Gefühlswallungen abgeebt sind - grundsätzliche Fragen stellen. Vor allem nach ihrer weiteren Personal- und Investitionspolitik.
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