Marvin Ibo Güngör
Bayern-Star Davies hätte nach Ansicht von "Collinas Erben" schon früher Rot sehen müssen
Das Handspiel von Florian Neuhaus vor dem 1:0 von Gladbach gegen Wolfsburg steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Tor und ist auch nicht aus anderen Gründen strafbar. Deshalb zählt der Treffer zu Recht. Bei Werder Bremen (gegen den FC Bayern) und RB Leipzig (gegen Fortuna Düsseldorf) wundert man sich derweil über das Schweigen des Video-Assistenten.
Als Jonas Hofmann nach zehn Minuten das 1:0 für Borussia Mönchengladbach in der Partie gegen den VfL Wolfsburg (3:0) erzielte, dürften vor allem auf Seiten der Gäste viele an den vergangenen Spieltag zurückgedacht haben. Da nämlich wurde ihnen in der Begegnung gegen den SC Freiburg ein Tor aberkannt, weil ihrem Angreifer Daniel Ginczek zuvor ein Handspiel unterlaufen war. Vor dem ersten Treffer im Borussia-Park war nun ebenfalls eine Hand im Spiel, nämlich die von Hofmanns Mitspieler Florian Neuhaus. Doch diesmal zählte das Tor, anders als am Wochenende griff der Video-Assistent nicht ein. Wie passt das zusammen?
Das Schlüsselwort bei der Antwort auf diese Frage lautet: unmittelbar. Geht einer Torerzielung oder einer Torchance unmittelbar ein Handspiel des betreffenden Teams voraus, dann muss dieses Handspiel vom Schiedsrichter in jedem Fall geahndet werden. Auch dann, wenn der betreffende Spieler nicht das Geringste dafür konnte, wenn sein Handspiel also ohne den Zusammenhang mit dem Tor oder der Torchance nicht strafbar gewesen wäre. So war es bei Ginczek, und so war es beispielsweise auch beim Tor des Dortmunders Raphael Guerreiro am Samstag in Düsseldorf.
Neuhaus' Handspiel hatte mit dem Tor nichts zu tun
Bei Neuhaus dagegen war diese Unmittelbarkeit nicht gegeben. Denn die Regelhüter vom International Football Association Board (Ifab) und der DFB haben festgelegt: Wenn zwischen dem Handspiel und dem Tor oder der Torchance mehrere Spieler am Ball waren, eine gewisse Zeit vergangen ist oder eine große Entfernung lag, dann kann von einem unmittelbaren Zusammenhang nicht die Rede sein. Beim Gladbacher Führungstreffer lagen zwischen Neuhaus‘ Handspiel und Hofmanns Torschuss fünf Stationen, rund siebzig Meter und etwa 15 Sekunden.
Das Kriterium der Unmittelbarkeit ist vom Ifab eingeführt worden, damit es in Extremfällen nicht zu einer Entscheidung kommt, die dem Sinn und Geist der Regeln vollkommen zuwiderlaufen würde. Ein Beispiel: Angenommen, im eigenen Strafraum spielt ein Verteidiger den Ball vollkommen schuldlos und unabsichtlich mit dem Arm, begeht also ein nicht strafbares Handspiel. Anschließend schießt dieser Spieler den Ball in hohem Bogen nach vorne, wo ihn ein Mannschaftskollege erläuft und – da alle Gegner inklusive Torwart weit aufgerückt sind – mutterseelenallein ist.
Schiebt er den Ball nun ins Tor, dann dürfte der Treffer ohne die erwähnten Kriterien nicht zählen – und es müsste logischerweise auf der anderen Seite einen Strafstoß geben, obwohl das Handspiel ansonsten gar nicht strafbar war. Um das zu vermeiden, müsste der Stürmer am leeren Tor vorbeischießen. Eine absurde Vorstellung. Aus diesem Grund beschloss das Ifab, bei einem Handspiel vor einem Tor oder einer Torchance den unmittelbaren Zusammenhang zur Voraussetzung für die Strafbarkeit zu machen und dabei neben der Zahl der Zwischenstationen auch die Entfernung und die Zeit als Faktoren zu betrachten. Für das Beispiel heißt das: Ein so erzieltes Tor würde zählen.
Das Handspiel selbst war auch nicht strafbar
Trotzdem ist die Bewertung der Szene in Mönchengladbach damit nicht abgeschlossen. Denn die Regularien für den Video-Assistenten sehen vor, dass dieser eingreifen muss, wenn sich in der Angriffsphase, die zum Tor führte, ein klares Vergehen der angreifenden Mannschaft ereignet hat, das der Unparteiische jedoch übersehen oder fälschlich nicht geahndet hat. Und mit Neuhaus‘ Handspiel etwa 22 Meter vor dem eigenen Tor begann unzweifelhaft die Angriffsphase, die die Borussen als schnellen und schnörkellosen Konter vortrugen. Wenn das Handspiel also strafbar gewesen wäre, dann hätte der VAR dem Referee Robert Schröder ein Review vorschlagen müssen.
Doch es war nicht strafbar, denn Florian Neuhaus hatte bei Maximilian Arnolds Pass aus kurzer Distanz seinen Arm eng an den Körper gezogen, ihn sogar ein Stück hinter den Rücken gebracht und damit deutlich versucht, ihn aus der Flugbahn des Balles zu nehmen. Somit war es korrekt, dass der auch ansonsten sehr souverän leitende Schröder weiterspielen ließ und der Video-Assistent nach der obligatorischen Überprüfung der Szene keine Einwände hatte. Es handelte sich um ein reguläres Tor.
Was sonst noch wichtig war:
- Als Alphonso Davies im Spiel des SV Werder Bremen gegen den FC Bayern München (0:1) in der 79. Minute nach einem taktischen Foul mit Gelb-Rot des Feldes verwiesen wurde, hatten die Gastgeber jene Überzahl, zu der es eigentlich viel früher hätte kommen müssen. Denn 60 Minuten zuvor hatte der Münchner Außenverteidiger im Zweikampf mit Leonard Bittencourt recht eindeutig nachgetreten, war dafür von Schiedsrichter Harm Osmers jedoch nur verwarnt worden. Der Unparteiische dürfte die Aktion dabei allenfalls im Augenwinkel wahrgenommen haben, schließlich hatte er sich kurz abgewandt, um den Lauf des Balles zu verfolgen. Schon deshalb wäre ein Eingreifen des Video-Assistenten in Köln geboten gewesen. Dazu kam es jedoch nicht, obwohl die Bilder klare Argumente für eine Rote Karte lieferten – und eigentlich keine für die getroffene Entscheidung.
- Auch in der Begegnung zwischen RB Leipzig und Fortuna Düsseldorf (2:2) hätten sich die Gastgeber gewünscht, dass der VAR interveniert, und das gleich zweimal. Zum einen nach acht Minuten, als Kevin Kampl im Zweikampf mit dem Düsseldorfer Torwart Florian Kastenmeier im Strafraum der Fortuna zu Fall kam und Schiedsrichter Manuel Gräfe weiterspielen ließ. Der Keeper hatte den Leipziger leicht in der Wade getroffen und ebenso leicht den Ball gespielt. Ob der Kontakt ursächlich für den Sturz war, ist fraglich. Ein Eingriff des Video-Assistenten war deshalb nicht zwingend erforderlich und hätte auch nicht zur gewohnt großzügigen Zweikampfbeurteilung von Gräfe gepasst. Deutlicher war da schon das Stoßen des Düsseldorfers Kenan Karaman gegen Dayot Upamecano vor dem Anschlusstreffer der Gäste, im Fußbereich gab es ebenfalls einen Kontakt. Doch Gräfe winkte auch diesen Körpereinsatz durch, und der VAR griff erneut nicht ein. Gegen diesen Entschluss kann man triftige Einwände formulieren, hier war der Referee doch arg generös.
- Der Strafstoß, den es in der Partie Borussia Dortmund – 1. FSV Mainz 05 (0:2) kurz nach der Pause für die Gäste gab, war dagegen berechtigt. Dass der Einsatz von Lukasz Piszczek gegen Danny Latza ein Foul war, dürfte ohnehin unstrittig sein, aber da war noch die Abseitsfrage zu klären. Denn als Latza den Ball nach einem vom Dortmunder Torwart Roman Bürki abgewehrten Torschuss annahm, sprang die Kugel zu seinem im Abseits befindlichen Mitspieler Jean-Philippe Mateta. Doch noch bevor dieser aktiv werden konnte, geschah das Foul von Piszczek. Entscheidend ist in einer solchen Situation nicht der Moment der Abseitsstellung – die als solche nicht strafbar ist –, sondern der Augenblick, in dem der betreffende Spieler ins Spiel eingreift. Da das hier erst kurz nach Piszczeks Foul der Fall war, musste dieses Foulspiel als erstes Vergehen bestraft werden. Deshalb gab es den Elfmeter.
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